Liegt die Schön- heit im Auge des Betrachters? Am wahrscheinlichsten ist es, dass sowohl biologische als auch kulturelle Gründe für unser Schönheitsempfinden ver- antwortlich sind. Aber heißt das jetzt, dass unser individueller Geschmack gar nicht so individuell ist, wie wir dachten? Ist er vielmehr das Ergebnis von unbe- stimmten Einflüssen, auf die wir gar keinen Einfluss haben? Ja und Nein. Zuerst die Entwarnung: Jeder Mensch wird auf viele unterschiedliche Arten und Weisen geprägt. Das heißt, unser Schönheitssinn bildet sich allmählich aus unzähligen Eindrücken heraus, die unser Leben lang auf uns einprasseln. Was wir schön finden, ist so facettenreich, dass man durchaus von einem individuellem Geschmack sprechen kann, aber es stimmt natürlich: Wenn uns überall in unserem Umfeld Beispiele für Skandina- visches Design begegnen, werden wir eventuell neugierig und finden ebenfalls gefallen an diesem Stil. Schließlich sind wir Kinder unserer Zeit. Aber vielleicht sorgen frühere Einflüsse auch dafür, dass wir Italienisches Design viel anspre- chender finden, weil… ja, warum denn jetzt eigentlich? Lösen Sie den Knoten in Ihrem Kopf. Am Ende sollten wir uns fragen, ob es denn überhaupt wichtig ist, genau zu verstehen, wie wir Ästhetik empfinden? Wenn wir uns mit schönen Dingen umge- ben, macht uns das glücklich. Und geht es im Leben nicht genau darum? Ums Glücklich sein? 4 Wer sagt uns, was wir schön finden? Oder wissen wir das selbst? Schönheit hat also damit zu tun, wie wir etwas wahrnehmen und wie wir das Wahrgenommene letztendlich bewerten. Schön oder hässlich? Ganz so einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Biologen sind der Meinung, dass uns gewisse Schön- heitsempfindungen angeboren sind. Dies könnte zum Beispiel er- klären, warum Menschen von Geburt an Rundungen und Symmetrie an- genehmer empfinden als Ecken und Asymmetrie. Bewiesen ist: Finden wir etwas schön, löst unser Gehirn ange- nehme Emotionen aus, ähnlich zu den Situationen, in denen wir belohnt werden oder Schokolade essen. Soziologen machen die Gesellschaft und das Zeitgeschehen für unse- ren Schönheitssinn verantwortlich. Studien zeigen: Erkennen vertraute Personen in unserem Umfeld die Ästhetik eines Objekts, sind wir selbst dazu bereit, das Objekt auch als schön zu empfinden. Das ändert sich natürlich fortlaufend, was ein Blick in die Geschichte des Designs beweist. Entsteht etwas Neues, wird dies oft erst einmal abgelehnt. In diesem Fall müssen die Pioniere der Ästhetik zunächst die Schönheit »erkennen« und mit den anderen teilen – heut- zutage ein Leichtes in den sozialen Medien. Hier spielt auch der Anspruch mit rein, sich bewusst und unbewusst von anderen Menschen abzuheben. Ganz schön kompliziert, das Ganze.